„Deshalb reite ich lieber selber und fahre nicht kutsche“; erinnerte sich von Reiche während er sich seinen schmerzenden Rücken rieb, obwohl die Kutschfahrt eigentlich nur 2 Stunden dauern sollte wahren sie jetzt schon mindestens 3 Stunden unterwegs, was bestimmt auch daran lag, dass der Generalmajor alle 30min eine Pause einlegen will. „Um die Gedanken mal freizubekommen“, sagte er, wer‘s glaubt wird selig. In echt bekommt dem Generalmajor die Fahrt nicht und er braucht die Pause, um zu erbrechen, selbst Schuld, wenn man während der Fahrt die ganze Zeit irgendwelche Briefe liest. Obwohl es eigentlich noch Winter war, war bereits ein warmer Frühlingswind aufgezogen und so stand von Reiche nun in seiner marineblauer Paradeuniform, mit verziertem Schulterstücken, vor der Kutsche. Seinen Säbel hatte er vorschriftsmäßig an der Hüfte hängen und seinem Rang entsprechend eine weiße-schwarze Feder am Hut. „Außerordentlich frisch heute“, hörte von Reiche einen der Gardisten, die als Begleitschutz für den Generalmajor abgestellt wurden, klagen. „Und dass, obwohl heute die Sonne scheint“; fügte ein weiterer hinzu bevor er von einem Unteroffizier mit einem grimmigen Blick zum Schweigen gebracht wurde, und bevor von Reiche sich an der Diskussion beteiligen konnte wurde er von den Worten des Generalmajors unterbrochen.
„So, ich wäre soweit“, hörte man den Generalmajor, während dieser sich gerade mit ein paar Schilling bei der Bauernfamilie, die ihm etwas gegen seine Reisekrankheit gegeben hatte, bedankte und so stieg von Reiche schweren Herzens wieder in die Kutsche. Es war eine wirklich schöne Kutsche, die eines Generalmajors entsprechend. Aus dunklem Eichenholz und mit goldenen Verzierungen. Nur bei der Federung und den Polstern scheint man gespart zu haben, denn an den Straßen konnte es ja wohl nicht liegen, die hat das königliche Amt für Straßenbau erst letztens erneuern lassen.
Während der langen Fahrt hatte von Reiche genügend Zeit den Generalmajor zu mustern und so kam er nicht umhin die unzähligen Orden an der Brust des Generalmajors zu bemerken, die er vor allem für seinen Feldzug gegen das Königreich Sachsen bekam. Aber auch dieser Krieg ist nicht ohne weiteres am Generalmajor vorbeigezogen.
Von Preußen selber sprach nur ungern über den Krieg, aber sobald er die Geschichten, die man über seinen „Heldentaten“ berichtete, hörte, sah man an seinen Augen, die wie leblos in die Leere starrten, das der Krieg immer seine Opfer forderte. Umso verständlicher das er vom Befehl ein Gardekorps aufzustellen und im Kriegsfall zu kommandieren nicht sehr begeistert war. Dennoch war er ein treuer und patriotischer Mann, der bereit war große Opfer zu bringen, um sein geliebtes Vaterland zu verteidigen und so war es kein Wunder, dass der König gerade ihn als Kommandant für seine Elitetruppe auserwählt hatte.
Der Rest der Fahrt verlief außerordentlich zufriedenstellend. Das Mittel, dass der Generalmajor bekommen hatte, schien zu wirken und dementsprechend war die Stimmung in der Kutsche wieder aushaltbar, was im Falle des Generalmajors bedeutete nicht alle paar Minuten abfällige Bemerkungen über irgendetwas zu machen. Durch diese Fügung der Ereignisse hatte nun auch von Reiche endlich die Möglichkeit sich mit dem ihm anvertrauten Aufgaben auseinanderzusetzen und so öffnete er eine Seitenklappe der Kutsche in dem sich eine Liste mit weiteren Instruktionen befand. Doch gerade als er sich in die Listen vertieft hatte, wurde er erneut aus seinen Gedanken gerissen. Diesmal durch die aufschwingende Tür der Kutsche, durch die der ältere Kutscher seinen Kopf streckte und mit grummeligen Stimme sagte „Werte Herrschaften, sie haben ihr Ziel erreicht. Willkommen in Potsdam.“
Von Reiche stopfte schnell die Liste zurück in ihren Umschlag bevor er die Kutsche verließ. Ein leichter Wind ließ die rosa Blüten eines Kirschbaums umherfliegen und für einen kurzen Moment kam sich der Major vor wie in einem anderen Universum, bevor er wieder zu sich zurückfand. Die Sonne brach nochmal mit aller Kraft hervor bevor sie für diesen Tag untergehen sollte und so hatten sowohl der Generalmajor als auch der Major keine Probleme damit den Weg Richtung Kaserne zu finden. Die Kaserne war riesig und aus rotem Backstein. Vor dem Hauptgebäude befand sich ein Drillplatz. Richtung Westen konnte man die Baracken der Soldaten und der Unteroffiziere erspähen, während man, wenn man Richtung Norden schaute, das Hospital sehen konnte, in dem die besten Ärzte der preußischen Armee praktizierten. So schritten die beiden eilig über den riesigen Platz und trennten sich am Haupteingang, sodass jeder sein Quartier aufsuchen konnte und sich von der Anstrengung der Reise erholen konnten, bevor die Musterung startete.