Zu den staatlichen Maßnahmen. Wie ich schon geschrieben habe, müssen viel mehr Eingriffe passieren. Ich bin auch kein Fan der Steuersenkung, aber es ist immerhin irgendeine Maßnahme. Hier lässt sich für Deutschland glaub ich sehr schön die Ricardo-Barro-Äquivalenz erklären. Die Regierung probiert mit ihren Maßnahmen die Konjunktur anzukurbeln und senkt dafür die Steuern. Die Wirtschaftssubjekte passen jedoch ihre Erwartungen an und erwarten für die Zukunft, dass die Steuersenkung, aufgrund der höheren Staatsverschuldung, im gleichen Umfang auch wieder erhöht wird. Durch die Steuersenkung steigt demnach die Sparquote. Diese Äquivalenz lässt sich empirisch sehr schwer beweisen und manchmal wird die Konjunktur sogar doch angekurbelt, jedoch ist die Erhöhung der Sparquote meiner Meinung nach für Deutschland aktuell der Fall. Das hast du ja ganz gut beschrieben mit den Menschen aus dem Niedriglohnsektor. Ein weiterer Grund ist auch die Ungewissheit für die Zukunft und da sparen Menschen immer mehr als sonst.
Deine Aufzählungen von einigen Maßnahmen sind Maßnahmen die auch ich unterstütze. Konsumgutscheine oder Einmalzahlungen. Die EZB hätte schon längst Helikoptergeld bereitstellen müssen und warum sie das nicht macht ist wiederum ein ganz neues und anstrengendes Themengebiet.
Man darf aber nicht vergessen, dass die Bundesregierung mit dem Wirtschaftsministerium Direktgeld für Selbstständige, kleine, mittelgroße und große Unternehmen nach Antrag bereitgestellt hat. Meine Mutter ist selber selbstständig und bekam auch eine Geldsumme, die vom Ministerium anhand verschiedener Kriterien ausgestellt wird. Hier zu den einzelnen Maßnahmen (https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Coronavirus/coronahilfe.html)
Das nicht jeder selbstständig ist und andere es wahrscheinlich mehr bräuchten steht außer Frage. Die vorgestellten Maßnahmen der Wirtschaftsweisen halte ich für aktuell ausreichend. Die Bundesregierung setzt derzeit aber davon kaum was um. (https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/sondergutachten-2020.html#abb2)
Man könnte für die USA analysieren wie erfolgreich diese Stimulus Checks waren, ich weiß jedoch nicht ob es dazu schon genaueres gibt.
Unterschreibe ich so, bis auf einen kleinen Punkt: Solo-Selbstständige kriegen davon keinen Cent, da die Sofortmaßnahmen zur Deckung der Betriebskosten aufgelegt wurden und ihre privaten Ausgaben quasi ihre Betriebskosten sind, dies aber nicht geltend machen können.
Wir können gerne über Fakten sprechen, weil mir dein Text zeigt, das einige Berichterstattungen über weinende Bäcker für die komplette deutsche Wirtschaft verallgemeinert werden. Wenn ich mir die DAX Unternehmen anschaue, kann ich kein Unternehmen ausmachen, welches auch nur ansatzweise von Zahlungsunfähigkeit oder gar Pleite bedroht ist. Die Lufthansa, welche zwar nicht mehr im DAX ist, konnte sich auch erholen bevor der Staat ein Teil des Unternehmen verstaatlichen musste (https://www.deraktionaer.de/artikel/aktien/lufthansa-weiterhin-hohe-nachfrage-20204931.html). Am Beispiel Lufthansa sieht man: Es wird angepasst und reagiert. Airlines verdienen sowieso am meisten mit der Aviation Logistic und haben kein Totaleinbruch des Umsatzes. Das zu den großen Unternehmen. Sollte eines von denen pleite gehen, dann kann man wirklich von einer Krise sprechen und das wirkt sich dann auch gewiss auf die Arbeitslosenquote aus. Hier zur aktuellen Lage von der Agentur für Arbeit: 30.07.2020 „Der Arbeitsmarkt steht wegen der Corona-Pandemie nach wie vor unter Druck, auch wenn sich die deutsche Wirtschaft auf Erholungskurs befindet. Der massive Einsatz von Kurzarbeit hat stärkere Anstiege der Arbeitslosigkeit und Beschäftigungsverluste verhindert.“, sagte der Vorstand Regionen der Bundesagentur für Arbeit (BA)
DAX-Konzerne sind i.d.R. ganz anders aufgestellt, als kleine und mittelständische Unternehmen und können mit solchen Krisen ganz anders umgehen. Sie verfügen zumeist über genügend liquide Mittel bzw. Bonität, um Cash-Flow Einbrüche abzufedern und schaffen es mithilfe (im Vergleich zu kleinen Unternehmen) breiter aufgestellter Portfolios eine größere Risikodiversifikation zu erreichen. Dass man in diesem Bereich nicht reihenweise Insolvenzen suchen muss, ist klar.
Interessanter wird es vorallem bei Solo-Selbstständigen und kleinen Betrieben (also auch die von dir angesprochenen Gaststätten). Die werden durch Umsatzeinbrüche wesentlich stärker getroffen, da reichen 2, 3 Monate verminderter oder gar kein Umsatz (was ja in der Zeit von März/April bis jetzt nicht unwahrscheinlich ist) aus, um das Geschäft zu zerstören. Das hat wenig mit schlechtem Wirtschaften im Vorfeld zu tun. Niemand kann sich auf eine solche Situation vorbereiten, finanzielle Rücklagen sind oft identisch mit den liquiden Mitteln der Betreiber, da die wenigsten Unternehmen in diesem Bereich als Kapitalgesellschaft laufen. Mit zwei, drei Angestellten, einer angemieteten Location/Büro/whatever, Versicherungen usw. kommst du auch bei Kleinstbetrieben schnell auf Fixkosten in fünfstelliger Höhe, das auf Monate vorzuhalten ist schwierig und wie gesagt: Wir stehen ja erst noch am Anfang.
Viele Effekte werden verzögert auftreten. Es wird mit vermehrten Unternehmensinsolvenzen ab Herbst gerechnet und das mindestens bis 2021, wobei ja aktuell niemand wirklich weiß, welche Dynamiken diese ganze Krise noch entwickeln wird (
https://www.springerprofessional.de/corona-krise/risikomanagement/2020-wird-das-jahr-der-pleiten/17985496). Die Zeit hat Anfang Juli eine gute Aufschlüsselung über die von Insolvenz betroffenen Unternehmen aufgestellt (
https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-07/corona-krise-deutsche-unternehmen-gefaehrdet-umfrage-ifo-institut). Wir sehen aktuell 20% aller Betriebe in Deutschland, die sich als durch Corona gefährdet einstufen würden. Das Gros der Insolvenzen tritt aktuell noch im Tourismus und bei Kulturschaffenden auf, es könnten allerdings Verzögerungseffekte eintreten. Die ausgesetzte Insolvenzantragspflicht ist da nur das offensichtlichste. Nochmal: Wir stehen erst am Anfang und ja, es gibt Branchen, die weniger von der Krise betroffen sind, als andere, aber eine mögliche Ausweitung sollte man mMn nicht leichtfertig als "Worst Case Szenario" abtun.
Dass durch die Krise sich viele Unternehmen weiter entwickeln werden, hab ich auch bereits im ersten Post nicht abgestritten. Ich finde es nur etwas anmaßend zu behaupten, dass alle, die jetzt vom Markt verschwinden im Vorfeld nicht solide gearbeitet hätten, das ist nämlich falsch.
Letztlich weiß ich natürlich auch nicht, was passieren wird, das weiß niemand. Fakt ist aber, dass wir auf eine weltweite Rezession zu steuern und Deutschland wird, als ein Land das auf eine hohe Exportquote angewiesen ist, da nicht ohne Schaden davon kommen. Ich kann zum Beispiel aus meiner eigener Erfahrung berichten (wie gesagt, ich studiere BWL dual bei einem Messebauer), dass in meinem Studiengang niemand ist, dessen Unternehmen (alle im Bereich Veranstaltungswirtschaft, immerhin die 6. größte Branche Deutschlands) eine Insolvenz ausschließen würde. Es hängt stark davon ab, wie es sich weiter entwickelt, aber ist 2021 ein ähnliches Jahr wie 2020, dann gute Nacht.