Die Geschichte geht weiter
Das Pfeifen einer Kanonenkugel und das Gedonner der Geschütze, die das Feuer erwiderten, erweckten Von Reiche aus seinen Tagträumen. "Komisch, dass ich mich in so einer Situation an solch banalen Dingen erinnere”, sagte er zu sich selbst, bevor sich sein Blick dem ihm vorliegenden Schlachtfeld zuwandte.
Fast zwei Jahre sind seit der Gründung des Gardekorps vergangen, seitdem hat Von Reiche viele Schlachten erlebt. Der Junge, der als Major angefangen hat, ist zu einem starken Mann herangewachsen, und der damals so gepflegte Schnurrbart ist mittlerweile einem wilden drei Tage Bart gewichen.
Mittlerweile ist er Obrist-Lieutenant, und die Orden, die seinen Kürass schmücken, wiegen fast so schwer auf seiner Brust, wie der Verlust seiner vielen Freunde über die Zeit eines grausamen Krieges.
Und die fröhlichen und voller Abenteuermut gefüllten Augen, sind denen gleich, die er noch vor einem Jahr bei seinem Vorgesetzten, dem Generalmajor von Preußen, so verurteilte.
Von Reiche drehte sein weißes Pferd auf der Stelle und galoppierte die Erhöhung hinunter in Richtung Gehöft, über der die Flagge des Generalstabes stolz und erhaben wehte.
“Die heizen uns da oben ziemlich ein.” rief er über das mittlerweile verstummende gedonner in den Raum, ohne sich dafür zu interessieren, was, oder wer sich eigentlich dort befand. “Aber unsere Artillerie hält sich wacker. Und so eine Flasche Whiskey kann den Major der Artillerie wohl wirklich motivieren", fügte er lachend hinzu, bevor erneut Chaos ausbrach.
Mit gezielten Schritten bahnte sich von Reiche einen Weg durch Adjutanten und Beamte, die Karten und Papier durch die Gegend trugen, und sparte nicht am Stock, sollte sich ein ungeschickter Page sich in seinen Weg verirren, bevor er endlich das Ende des Raumes erreichte, in der eine weitere Eichentür das Trubel begrenzte, und endlich ruhe schaffte in dem sich dahinter befindenden Raum.
Von Reiche ließ seinen Blick über den kleinen Raum schweifen, es blieb ihm nicht aus, wie dunkel die Ausstattung gehalten ist, alles war aus einfacher Eiche, aber dafür umso verzierter. Hier war eindeutig ein Meister des Handwerks tätig, und für einen kurzen Augenblick wunderte sich von Reiche, was wohl aus den Menschen geworden ist, die eins hier hausten.
Die roten Vorhänge verdunkelten den kleinen Raum, und nur eine Kerze, die in der Mitte eines schweren Eichentisches stand, erhellte den Raum und die Gestalt die an diesem Tisch saß.
“Herr Generalmajor”, sprach von Reiche in den Raum, doch die Gestalt am Tisch regte sich nicht.
“Generalmajor?”, versuchte es von Reiche erneut, diesmal mit mehr Ausdruck. Die ihn damals ausmachende Nervosität ist ihm mittlerweile gewichen.
“Ja, ja, ich bin doch da, kein Grund so zu schreien”, kam die rostige und gar gelangweilte Stimme des Generalmajors zurück, "Was gibt es den so wichtiges um mich aus meinem Mittagsschlaf zu reißen?”.
Vor 2 Jahren hätte diese Aussage den damals noch jungen Major bestimmt geschockt, ihn vielleicht so weit gebracht, den Generalmajor vor ein Kriegsgericht zu stellen, doch nach 2 Jahren voller Kriegsmüdigkeit verwunderte von Reiche das Verhalten des Generalmajors nicht mehr.
“Es ist soweit, der Feind greift an, wie sie es vorhergesehen haben. Unsere Artillerie hat das Feuer eröffnet, und unsere Infanterie wartet auf Befehle. Ich denke, es wird Zeit, dass Sie rauskommen, und unseren Männern mit ihrer Präsenz Mut zuzusagen.”
“Wenn sie das sagen,” schmunzelte von Preußen und fügte mit einem Zwinkern einen Salut hinzu, der sich eindeutig über den Vorschriftliebenden von Reiche lustig machen sollte, bevor er sich von seinem Tisch erhebte und mit stolzen schritte gen Tür schritt.
Und der Frühlingswind, der durch das Gehöft wehte, erinnerte von Reiche erneut an die alte, gar friedvolle Zeit vor dem Krieg, doch der Geruch von Blut und Schweiß, der mit dem Wind in das Gehöft zog, ließ keine Zeit für weitere Tagträume.
