Ein warmer Sommerwind wehte durch das Gemach des Generalmajors und ließ das schwarze Fell einer Katze, die es sich wohl in der Nacht auf dem Schreibtisch gemütlich gemacht hatte, umherwirbeln. Das Bett war leer und ordentlich gemacht, nur die zerzausten Haare des Generalmajors ließ darauf schließen, dass er noch bis vor kurzem geschlafen hatte, denn Zeit um sich diese zu richten hatte er nicht gefunden. Mit einem ernsten Blick schaute er vom Fenster seines Gemachs runter auf den großen Exerzierplatz, wo bereits die ersten Soldaten ihre morgendlichen Drillübungen machten. Doch obwohl er seine Augen leicht zusammen kniff, um der morgendlichen Sonne entgegenschauen zu können, blieb keinem Blick die Trauer in seinen Augen verborgen und als er sich umdrehte und von Reiche, der mittlerweile in der Zimmertür stand, in die Augen schaute, fiel es auch dem Major auf.
Seine Augen waren wie die See, wild und unberechenbar, sodass niemand seinem beherrschenden Blick standhalten konnte und in seinem Blau spiegelte sich kurz das Gesicht des Majors wieder bevor dieser den Kopf senkte und mit ruhiger Stimme sprach “Guten Morgen Herr Generalmajor, es tut mir leid sie zu dieser frühen Stunde stören zu müssen aber es wird Zeit, ansonsten werden wir den Hauptmann wohl nur betrunken auffinden.“
Während der Major so sprach, erwachte auch die Katze aus ihrem Schlaf und von Reiche erschien sie schon fast wie ein Spiegelbild vom Generalmajor, denn als diese sich anfing zu strecken und mit einem frohen Maunzen die beiden Männer begrüßte, erlosch auch gleichzeitig all die Trauer aus den Augen des Generalmajors und er schritt mit erhobenem Hauptes und zerzaustem Haar gen Ausgang.
Mit zügigem Schritt liefen die beiden Männer die schier endlos langen Gänge der Kaserne entlang und wie vor ein paar Tagen hatte der Major es schwer mit von Preußen mitzuhalten und das, obwohl er seinen schweren Kürass mittlerweile durch eine aus weißem Stoff gewebter Uniform ersetzt hatte. Als sie die Treppe, die hinab zum Forum führte, endlich erreicht hatten, wurden sie bereits durch den frischen Frühlingswind, der seinen Weg bis ins Treppenhaus gefunden hatte, begrüßt, und von Reiche erinnerte sich für einen kurzen Augenblick an die weiten Felder und Wiesen, auf denen er aufgewachsen war, bevor die beiden Männer ins Freie traten.
Sie ließen ihren Blick über den großen Exerzierplatz streifen, auf dem geschäftiges Treiben war, den wie so oft sonntags nutzen die Soldaten ihren freien Tag, den sie nach der täglichen Exerzierübung hatten, um ihren Sold oder ihre Sorgen in Bier zu ertränken und so war es nicht verwunderlich, dass das Garde du Corps, ein Garde-Kavallerie Verband der innerhalb der Kaserne des Gardekorps und in den umliegenden Städten auch Militär polizeiliche Aufgaben übernehmen musste, heute viel zu tun hatte. Während die beiden Männer über den großen Exerzierplatz schritten kam von Reiche nicht darum seine Augen schweifen zu lassen, und zu versuchen einen Plan der Kaserne in seinem Gedächtnis zu formen. "Nur für den Notfall" dachte er. Doch er kam nicht sehr weit, denn sein Blick blieb an einen der Flaggenmasten hängen, die den Eingang der Kaserne schmücken. Die weiße Flagge wehte im warmen Frühlingswind und der schwarze Adler, das Wappenzeichen des Königreichs Preußens, prange stolz in seiner Mitte, und wie so oft wünschte sich von Reiche die Freiheit dieses eleganten Tieres teilen zu können, doch das Blut, das durch seine Adern floss, hatte anderes für ihn bestimmt. Und während von Reiche, ja schon fast wie in Trance, einfach weiter lief, merkte er nicht, dass der Generalmajor ihm einen fragwürdigen Blick zu warf.
Erst als sie das Gelände der Kaserne verlassen hatten, ist dem jungen Major wieder eingefallen, was eigentlich ihre Aufgabe hier ist und so richtet er sein Wort, das erste Mal seit heute Morgen, an den Generalmajor und teilt die Informationen, die er gestern per Eilpost bekommen hatte, mit diesem.
"Ich weiß, was sie denken Herr Generalmajor", sagte von Reiche, und führte ohne auf eine Antwort zu erwarten fort, "auch ich sehe die organisatorische Schwierigkeit in diesem Gedränge einen einzigen Hauptmann der Artillerie auszumachen, aber was ich ihnen gestern nicht mehr sagen konnte ist, dass wir nicht einen beliebigen Hauptmann suchen, wir suchen einen Spieler und Trunkenbold, der manch einen Gehalt in illegalen Spielstätten verspielte, und wenn ich das dem Brief richtig entnommen haben müssen wir nur warten bis die Soldaten der Militärpolizei ihn irgendwo aufgreifen. Hoffentlich nicht betrunken."
„Was soll ich mit einem Trunkenbold? So jemand gehört nicht in die königliche Armee, schon gar nicht in seine Elite Truppe" kam die immer noch verschlafene aber schroffe Antwort des Generalmajor's.
„Persönlich habe ich dem nichts entgegenzusetzen.", sagte von Reiche und reichte von Preußen einen Brief, der bereits geöffnet wurde, und fügte hinzu; „aber seine Leistungen sprechen für sich, ob betrunken oder nicht spielt dann wohl keine Rolle, zumindest wenn man den Herzog von Sachsen-Anhalt fragt, der mir dieses Empfehlungsschreiben in seinem Brief beigelegt hat."
Der Generalmajor musterte den Brief kurz, gefolgt von einem hörbaren schnaufen bevor er mit seiner Gehhilfe Richtung Norden deutete.
„Es ist wohl Zeit einen alten Bekannten zu besuchen" fügte er mit einem Gesichtsausdruck, was man wohl als schmunzeln bezeichnen könnte, hinzu.